Inklusion

Ich habe so eine Vorstellung, wie die Geschichte abgelaufen sein könnte.

Es war  einmal eine Idee, die im Grunde genommen erstmal gar nicht so schlecht war: „Förderschulen grenzen die armen Kinder aus. Wir schieben sie weg aus der Gesellschaft! Das muss sich ändern!“

Diese Idee hat eine (oder mehrere?) Partei aufgegriffen: „Ohja! Lasst uns die Förderschulen ersatzlos abschaffen! Alle Kinder dürfen auf normale Schule gehen und dort ein glückliches Leben leben. Die Zukunft ist bunt!“

An dieser Stelle haben die meisten  Pädagogen, Therapeuten, Sozialarbeiter und Lehrer, die sich intensiv mit dem Thema Schule beschäftigen, schon mit dem Kopf geschüttelt. Aber trotzdem fanden sich scheinbar genug Wähler oder auch Politiker, die begeistert von dieser Idee waren und so wurde sie umgesetzt. Aktuelle Studien zeigen zeitgleich einen Anstieg der Arbeitsbelastung der Lehrer_innen (ganz frisch die der GEW), die unter anderem beklagen, dass sie oft kaum noch Unterricht durchführen können und mit Erziehungsaufgaben und ähnlichem viel zu viel Zeit verbringen müssen. Das kann man zum Teil mit der Abschaffung der Förderschulen in Zusammenhang bringen, aber sicher spielen da auch andere Faktoren eine Rolle, die generelle Erziehungsmüdigkeit von Eltern zum Beispiel. Allein auf diese Studien gebe ich noch nichts.

Aber ich gebe etwas auf das, was ich selber sehe. Es ist nämlich so, dass meine Kollegen und ich dort anfangen, wo Lehrer aufgeben. Da, wo kein Unterricht mehr möglich ist, werden wir gerufen und versuchen, das Verhalten der Schüler_innen so zu beeinflussen, dass hinterher ein Mindestmaß an Unterricht wieder machbar ist. Und so besuche ich seit einigen Wochen immer einmal die Woche eine Hauptschule in einem Dorf in der Pampa.

Diese 7. Klasse hat einen Klassenlehrer und Unterstützung durch einen Förderschullehrer, der 20 Stunden die Woche in der Klasse ist. Ansonsten besteht die Klasse aus 16 Schüler_innen. 11 davon haben ADHS (diagnostiziert), 6 haben vermutlich Autismus (4 diagnostiziert, 2 Verdacht), 3 Schüler sprechen so gut wie gar kein Deutsch, ein Schüler leidet an Mutismus, 8 haben Legasthenie (diagnostiziert), 3 Dyskalkulie (diagnostiziert), eine wird gerade auf geistige Behinderung getestet und mindestens 4 haben einen Verdacht auf Störungen des Sozialverhaltens mit oppositionellen und/oder aggressivem Verhalten. Wer jetzt nachzählt, stellt fest, dass das mehr als 16 Diagnosen sind. Wenns kommt, dann eben meistens richtig, deshalb haben viele Kinder Doppeldiagnosen. Und, wenn man ganz ehrlich ist (und das will immer keiner hören, aber es sind nun mal nicht alle mit der optimalsten genetischen Ausstattung geboren): Bei mehreren dieser Kinder ist auch die kognitive Grundlage eher dürftig, mal höflich ausgedrückt.

An einer Förderschule gäbe es diese Klasse gar nicht. 3 oder 4 der Kinder gingen da nämlich gar nicht hin, die gehören schon auf eine Hauptschule und das ist auch gut so. Der Rest wäre nicht in einer Klasse, 16 Kinder sind für dieses Ausmaß an Förderbedarf viel zu viele. Also hätten wir aus dieser Förderklasse 2 Klassen gemacht, die an einer guten Förderschule mit 2 Lehrkräften ausgestattet gewesen wären. Einen wirklichen Unterschied macht aber der Lehrplan: An den Förderschulen gibt es keinen strengen Lehrplan, der Halbjahr für Halbjahr vorgibt, was die Kinder am Ende können müssen. Dort darf auf einzelne Personen eingegangen werden und jeder kann mit dem Kenntnisstand, den er hat, weiterarbeiten. An der Hauptschule mit allgemeinem Lehrplan für ein ganzes Bundesland haben die Lehrer_innen 2 Möglichkeiten: Den Lehrplan durchziehen, auch wenn mindestens die Hälfte nicht mitkommt und diese Hälfte fallen lassen. Vermutlich wird dieser Teil dann auch keinen Schulabschluss erreichen. Oder den Lehrplan Lehrplan sein lassen und immer wieder die alten Themen durchkauen, bis (so gut wie) alle es verstanden haben. Ob man so einen Abschluss erreicht und wenn, ob dieser für einen Berufseinstieg oder eine weiterführende Schule qualifiziert, darf bezweifelt werden.

Auf der Förderschule hätten die Kinder die Möglichkeit, die Ziele zu erreichen, die sie selber auch schaffen können (was ja durchaus auch einen Abschluss bedeuten kann, aber mit intensiverer Vorbereitung und mehr Zeit) und auf den Hauptschulen wäre durch die Entlastung wieder ein Unterricht nach Lehrplan für diejenigen möglich, die diesem auch folgen können.

Inklusion in allen Ehren, aber das, was ich in letzter Zeit gesehen habe, hat mich sehr erschreckt. Unterricht ist nicht möglich, für die meisten ist der Schultag eine Aneinanderreihung von Misserfolgen, im Prinzip hat die ganze Klasse keine Zukunft. Ich würde viel davon halten, in regelmäßigen Schulstunden verschiedene Schüler_innen aus den verschiedensten Schulformen zusammen zu bringen und auch nachmittags in Vereinen und Sonstigem Inklusion stattfinden zu lassen. Aber Lernen muss an die Schüler_innen angepasst sein, sonst haben wir bald ein Problem.

Den größten Witz habe ich mir allerdings für den Schluss aufgehoben: In dieser Ortschaft/Region/diesem Bundesland wird auch die Hauptschule abgeschafft. Ab Sommer 2018 werden alle diese Schüler_innen auf eine Realschule gehen. Wenn sie bis dahin nicht zu Schulverweigerern geworden sind.

Ein Gedanke zu “Inklusion

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